Avenidas

Die Auseinandersetzungen um das nachfolgende Gedicht von E. Gomringer an der Außenfassade der Alice Salomon Hochschule ASH Berlin haben eine bundesweite Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden.

avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador

Übersetzt auf Deutsch, heißt es in dem Gedicht:

Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer

Die ASH ist eine der traditionsreichsten und größten Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit mit Folgewirkungen in Praxis, Wissenschaft und Forschung. Damit trägt die ASH mit ihrem Einfluss Verantwortung für die gesamte Soziale Arbeit.
Welche Interpretationen von Sozialer Arbeit an diesem Ort des professionellen Diskurses Bedeutung erlangen und wie diese in die gesellschaftliche Kommunikation einfließen, ist auch aus einer professionellen und systemischen Perspektive interessant. Genau diese beiden Perspektiven möchten wir mit Ihnen diskutieren, um dann zu entscheiden, ob und in welcher Form wir Stellung nehmen wollen. Wir bieten folgende Ausgangsfragen an:

• Nach Entscheidung des Senats der ASH lässt die Hochschule mit „Avenidas“ ein Gedicht überstreichen, welches in dem Antrag der Studierendenseite mit sexueller Belästigung assoziiert wurde.
Mit welchen längerfristigen Effekten auf die Klienten, die kollegiale Diskussion und die Wahrnehmung der Sozialen Arbeit im Kreis der psychosozialen Professionen ist infolge der Entscheidung zu rechnen?

• Ist es angemessen, dass sich das Rektorat der ASH in der Debatte um das Gedicht auf Partizipation und Demokratisierung, und damit auf Leitideen Sozialer Arbeit, bezieht?

• Welche Zukunft der Sozialen Arbeit lässt sich entlang des Konfliktes und seiner Gestaltung durch die Hochschulleitung diskutieren?

• Wie wird sich die Soziale Arbeit entwickeln, wenn sie mit dem Erreichen von sozial angestrebten Zielen (bspw. dem Ziel der sexuellen Selbstbestimmung) gleichgesetzt wird?

• Wie gelingt es Sozialer Arbeit im Rahmen der Debatte, eine gemeinsame Sprache mit Menschen außerhalb des gesellschaftlichen Funktionsbereichs Sozialer Arbeit zu finden? Wie kann unterstützt werden, dass Soziale Arbeit wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht?

11 thoughts on “Avenidas

  1. Hallo,

    ich finde die Sprachlosigkeit beredt.
    Wo bleibt die Stellungnahme des DBSH, wo die Kritik an der Erklärung der Sektion Forschung der DGSA/Fachgruppe Gender der DGSA?
    Vielleicht hilft ein Gedicht weiter.

    Wilfried Hosemann

    Hochschulleitung
    Flucht
    in die Kunst, wenn es um Entscheidungen geht,
    Flucht
    in Entscheidungsprozeduren, wenn es um Haltungen geht,
    Flucht
    in die Sexismusdebatte, wenn es um Soziale Arbeit geht,
    ein entwerteter Absolvent

  2. Hallo,
    grundsätzlich – sehr gute Fragen. Allgemein: Ist diese Diskussion um die ASH nicht …uninteressant . Ich kann verstehen wenn man das Gedicht überstreichen würde, weil es nicht der Brüller ist und sich nicht reimt . Aber der Streit hierzu ist doch einfach nur Abgehoben. Ich versteh die Argumentation bezüglich der Verbindung von Sprache, Denken und Handlungen, die seitens der Gendertheorie hochgehalten wird – stimme ihr sogar zu. Aber: gibt es nicht wesentlich wichtigere Themen als ein ödes Gedicht auf ner Hauswand? Die geführte Diskussion wäre erträglich wenn es keine CSU, AfD, Pegida oder den sonstigen ALLTÄGLICHEN UND OFFNEN Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus gäbe.

  3. Ja, ich stimme zu, dass Sprache, Denken und Handlungen in einem Zusammenhang stehen, und kann nachvollziehen, was die Vertreter/innen der Position, das Gedicht müsse übermalt werden, meinen. Allerdings wird hier nicht einfach ein Gedicht übermalt. Tatsächlich wird ein Dichter als sexistisch diffamiert (siehe Antragsbegründung im Senat der ASH). Die Entscheidung des Senats ist nun eindeutig in diesem Kontext (der Antragstellung) der Diffamierung eines Künstlers zu sehen. Das Beschämende an der Vorgehensweise des ASH ist nun, dass dieser Vorgang der Diffamierung mit in der Sozialarbeit anerkannten Prinzipien (Partizipation, Demokratisierung infolge der Beteiligungsverfahren) ummäntelt wird. Der Zweck (Positionen in der Gender-Debatte) soll nun mit fragwürdigen Mitteln (Diffamierung) durchgesetzt werden. Und das gibt der Angelegenheit m. E. ihre Bedeutung.

  4. Kann mir bitte jemand konkret sagen, was an diesem Gedicht sexistisch ist bzw der Gendertheorie widerspricht?

    lg Josef

    • Hallo Herr Reitemann, ich verstehe den Zusammenhang folgendermaßen: Frauen werden in dem Gedicht zum passiven OBJEKT der Betrachtung. Frauen haben jedoch heute in vielen Kulturen den Anspruch, eine aktive, gestaltende Rolle einzunehmen, und in eine Subjektposition zu gelangen. Die Objektposition der Betrachtung ist nun diejenige Position, welche eher eine Verletzlichkeit begünstigt. M. E. ist die Diskussion nur verständlich, wenn man weiss, dass die Bedeutung von Sprache für das Alltagshandeln hier in den Mittelpunkt rückt. Aus poststrukturalistischer Sicht bspw. wird Sprache für das Handeln eine sehr große Bedeutung, beigemessen. Sprache bereitet dann Handlungsoptionen vor. Wie von mir bereits ausgeführt, stört mich hier ganz besonders, dass ein Dichter als sexistisch diffamiert wird. Da muss man schon eine ganz schöne Phantasie aufbringen! Im Übrigen wird hier versucht Sprache zu verändern, um Machtpositionen einzunehmen. Das hat in vieler Hinsicht auch Folgen für die Soziale Arbeit. Ich teile die Sicht von Wilfried Hoseman, dass mit dem ganzen Diskurs der Sozialen Arbeit Schaden zugefügt wurde. Beste Grüße, Frank Eger

  5. Ist der Bewunderer oder die Bewunderin jetzt schon einer/eine der/die sexuell belästigt? Brauche ich ab sofort die Zustimmung des/der anderen, um bewundern zu dürfen? Darf mein Anwalt/meine Anwältin überhaupt meine Bewunderung schriftlich zum Ausdruck bringen, um diese Zustimmung einzuholen? Was sagt das über unser soziales Zusammenspiel aus, wenn sich Hochschulen, deren Fachgebiet die soziale Aushandlung sein sollte, hysterisch vor einer solchen „Debatte“ hertreiben lassen? Wo ist in dem Gedicht bitte die sexuelle Selbstbestimmung in Frage gestellt? Sind am Ende die Blumen das Problem? Oder gar die Bienen? Ich freue mich auf 1984 – da ist alles geregelt und niemand muss/darf sich mehr Gedanken über die Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten des Daseins machen.

  6. Hallo,

    der offizielle Text der ASH zum Gedicht vom Gomringer zeigt Vieles, nicht zuletzt, die Hochschulleitung versteht sich als verantwortliche Gestalterin und Betreiberin des Konfliktes.

    Das Vorgehen der studentischen Vertreterinnen und Vertreter im ASTA weist auf den Umstand hin, dass eine Aktion zu einem Gedicht viel eher Einfluss und Selbstwirksamkeit bringt, als die mühseligen Beiträge zur Veränderung der schlechteren Bezahlung von Frauen, zur tariflichen Bindung und zur Höherbewertung von sozialen Berufen. Mit symbolischen Aktion und mit Aktion zu Symbolen, lässt sich eher und leichter Aufmerksamkeit erzielen. Die aufgebrochenen Konfliktlinien bringen tiefliegende und grundsätzliche Konflikte zum Vorschein.

    Auf beiden Ebenen der Hochschule müssen sich Unterstützerinnen und Unterstützer des Antrages der wesentlichen Mitverantwortung an Effekten zu stellen haben, die sich m.E. in Folgendem zeigen werden:
    1. Es entsteht ein langanhaltender Schaden bei Frauen, Männern und Kindern, die Klienten der Sozialen Arbeit sind. Über viele Jahre werden Frauen und ihre Familien beschädigt und weniger geschützt.
    2. Die Profession wird geschädigt und verliert an gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Achtung.
    3. Der Feminismus wird in einer Weise wahrnehmbar, die ihn zurückwirft, zurückdrängt und ihn der Lächerlichkeit preisgibt.
    4. Die Kommunikation, die sich zum Teil als Kommunikation aus der Sozialen Arbeit markiert, ist gegenläufig zu ethischen und moralischen Diskursen. Wenn der Inhalt und die Darstellung des Inhalts so extrem widersprüchlich sind, ist mit Flucht und Wut zu rechnen und nicht mit dem Wunsch der Teilhabe an einem Diskurs über Ziele und Wirkungen in der Sozialen Arbeit.

    Ich sehe keine Veranlassung einfach zur Tagesordnung über zu gehen, sondern einen hohen Bedarf an Unterscheidungen und Reflexionen.

    Wilfried Hosemann

  7. Als Hochschulleitung hätte ich jedenfalls versucht, eine Position bzw. Perspektive einzunehmen, welche die gegenwärtigen Debatten aufgreift, mögliche Standpunkte gegenüberstellt und eine Übersetzungsleistung anstrebt. Stattdessen macht man halt mal was mit dem Gedicht.

    • Hallo,
      kann nicht endlich Schluss sein mit der ASH Debatte?
      Wilfried Nodes hat im Forum sozial 1/2018 den Bezug auf die Soziale Arbeit eingefordert, der in den Entscheidungen und in der Debatte untergegangen ist.
      Sehr guter, zentrale Punkt – aber reicht das?
      Unter der Überschrift „Worum es wirklich geht“ stellt ein Leser der Süddeutschen Zeitung (7./8. April) fest: „…worum es tatsächlich geht: Eine Hochschule entscheidet gemeinsam mit ihren Studentinnen und Studenten darüber, was an ihrer Hauswand steht. Warum fällt es vielen Menschen so schwer, das auszuhalten?“
      Da lassen sich Hinweise geben. Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit ließe sich z.B. diskutieren:
      1. Die Hochschulleitung trägt durch ihre Gestaltung der Kommunikation und ihre Entscheidungen zur De-Zentrierung der Sozialen Arbeit bei. Hinter den Fragen nach Kunst, Kultur, Gender, Zensur, Hochschulautonomie rücken die zentralen Themen und Fragen der Sozialen Arbeit in den Hintergrund und werden in der öffentlichen Wahrnehmung eher unsichtbar als sichtbar. Was Soziale Arbeit aber öffentlich kommuniziert ist einer gesellschaftlichen Situation, in der die Soziale Arbeit ihre Grundlagen durch ihre öffentliche Kommunikation erst erstellen muss, von sozial-politisch grundlegender Bedeutung und betrifft ihre materiellen Ressourcen. Und zwar nicht nur die eigenen, sondern auch die, die sie ihren Klienten zur Verfügung stellen kann.
      2. Die Sprache, in der auf der Homepage der ASH die Konflikte dargestellt werden, erinnert – vielleicht nicht nur mich – stellenweise an eine „Funktionärssprache“. Der Sprachstil vieler Beiträge (u.a. die Stellungnahme der DGSA) trägt dazu bei zentrale Begriffe wie Partizipation, Gender, Geschlechtergerechtigkeit aus ihren Zusammenhängen zu reißen, inhaltlich zu entleeren und spezifischen Ansprüchen zu überlassen. Die beanspruchte Kompetenz der Sprachauslegung – und die realisierte – steht in einem krassen Gegensatz. Vielleicht ist es nützlich sich an die Formalismusdebatte in der DDR zu erinnern (siehe Jutta Voigt, Stierblutjahre, 2016, S. 59 ff).
      3. Die Soziale Arbeit gewinnt an Kraft und Bedeutung, wenn es ihr gelingt, soziale Übersetzungen zu gestalten und sozialen Konflikten eine Form zu geben, die es leichter macht, Lösungen zu finden. Die Art und Weise des Konfliktgeschehens und das Management der Hochschulleitung lassen nicht erkennen wie Konflikte zwischen Geschlechtern, Generationen, unmittelbar und indirekt Beteiligten, usw., „verflüssigt“ und handhabbar gemacht werden können.

      Gibt es schon Foren, Beiträge, Stellungnahmen, die Perspektiven eröffnen?

  8. Ja, ich habe diese Rückzugsargumentation zur passiven Objektposition auch mit Kopfschütteln vernommen. Würde man das annehmen, dann wären Opern, ganze Regale an Hochliteratur und vieles mehr verdammungswürdige und frauenfeindliche Kompositionen und Dichtungen …

    Es ist doch so: Alle Menschen bewundern das, was sie attraktiv finden, zuweilen verbunden mit dem Wunsch nach „mehr“ – so etwas wird dann gemeinhin als „verlieben“ beschrieben. Ich stelle mir gerade folgende Liebeserklärung vor: Du Schöne/r, ich möchte mich emanzipieren und dich endlich aus meiner Dich zum Objekt machenden Projektion lösen. Was hältst Du davon, wenn wir uns zusammen tun:-)?

    Alles das könnte man noch amüsiert zur Kenntnis nehmen, nur ich kann es nicht. Gründe dafür habe ich in meinem Kommentar in Forum Sozial beschrieben. Aber darüber hinaus ärgert mich die dahinter stehende Haltung: Da wird das eigene, absolut minoritäre Sprach-Verständnis, zum
    Ausgangspunkt politischen Verhaltens genommen, egal welche Folgen das für die Soziale Arbeit hat. Und was mich dann noch mal mehr ärgert ist der Umstand, dass die realen (Gewalt-) Verhältnisse ausgeblendet werden. Während man sich intern über die richtige Wortwahl und -deutung zerfleischt im Bemühen, sprachlich möglichst gendergerecht und rassismuskritisch zu erscheinen, wird die reale Welt ausgeblendet. Wo bleibt die Empörung zu diversen sexistischen Sendungen im Privat-TV, wo die Positionierung zu Ausweisung und täglichem Rassismus, zu Gewalt gegen Frauen, zur Minderbezahlung auch in „einfachen“ Berufen, usw.
    Was ist das für eine politische Praxis, was für ein Verständnis als SozialarbeiterIn, wenn einem zum Thema Sexismus nichts besseres einfällt, als die Diffamierung eines Dichters, den man drei Jahre zuvor noch geehrt und auf die Fassade gemalt hat.

    Ja, hier hat die Hochschule nicht nur sich selbst, sondern der Profession geschadet. Denn wie kann diese auftreten und ernst genommen werden, wenn noch nicht einmal das Priorisieren gelingt und mal lieber in der eigenen Wortbefindlichkeit badet…

    Wilfried Nodes

  9. Hallo,

    das Gedicht hat sich in der Zeit zwischen Anbringen und Übermalen nicht verändert. Da muss was anderes passiert sein: so stellen sich mir die Fragen:
    • Was hat sich eigentlich bei wem verändert?
    • Ist die veränderte Einschätzung vor allem auf eine Veränderung im internen Kräfteverhältnis der ASH zurück zu führen?
    • Wie ist überhaupt die Kultur(entwicklung) der Anerkennung an der ASH zu verstehen?
    Darüber hinaus interessiert mich, gibt es Kommunikationsangebote aus der Hochschule heraus außerhalb der öffentlichen Präsentation auf der Homepage? Sind irgendwo Gespräche, Dialogangebote dokumentiert oder bekannt?
    Die Auseinandersetzung ist inhaltlich viel zu wichtig, um locker zur Tagesordnung über gehen zu können.

    Wilfried Hosemann

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